Es ist nicht ihr blau-weiß-geblümter Kittel oder die merkwürdig grün gemusterte Sofa-Garnitur, die mir direkt in den Sinn kommt, wenn ich an Oma Liesl denke. Es sind viel mehr die vielen gemütlichen Nachmittage, die wir gemeinsam auf ihrem Sofa verbracht haben und über Gott und die Welt sprachen, an die ich sofort denken muss. Dabei gab es immer etwas leckeres zu naschen. Wenn sie sagte: „Komm, wir backen Waffeln!“ war ich glücklich. Meistens aßen wir sie mit Puderzucker und Marmelade. Gab es etwas besonderes zu feiern, buk sie einen Apfelstrudel. Eine riesige knusprige Teigrolle, die mit geraspelten Äpfeln gefüllt war. Darüber wurde etwas Zimt und viel Zucker gestreut. Gekrönt wurde der warme Kuchen mit Vanille-Soße.
Aber auch ihr Butter-Gebäck, das es immer zur Weihnachtszeit gab und von dem niemand aus der Familie die Rezeptur kennt, schmeckte himmlisch! Heute bereue ich es sehr, das ich nicht hartnäckiger auf das Rezept bestanden habe. Ich vermute, dass sie die Zutaten für den Teig einfach nach Gefühl zusammen mischte, denn richtig erklären, wie sie das nun gemacht hatte, konnte sie nie. Das bleibt wohl für immer ihr Geheimnis, und gehört wohl auch zu jener Magie, die nur Großmütter auf ihre unverwechselbare Art und Weise ausstrahlen.
Katrin Blaschke (25) und Katharina Mayer (25) haben ihr Unternehmens „Kuchentratsch“ genau aus dieser Motivation gegründet: Sie wollen mehr Geselligkeit für Senioren schaffen, Traditionen leben und nützliches Wissen an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Denn nicht jeder Senior hat zu Hause einen neugierigen Enkel sitzen, der wie gebannt den Geschichten von früher lauscht oder unbedingt wissen will, wie man einen Mürbeteig zubereitet. Das Senioren vereinsamen und niemanden zum reden haben, genau das wollen die beiden Gründerinnen verhindern. Und so kam ihnen die Idee, einen Kuchen-Lieferdienst aufzubauen, der ausschließlich mit Senioren backt und arbeitet. Positiver Nebeneffekt: Die Senioren können ihre Rente aufbessern und finden neue Kontakte.
Im Mai 2015 hat das Unternehmen Kuchentratsch in der Innenstadt Münchens ihre neue Backstube bezogen und alle Omas und ein Opa sind nun noch fleißiger am backen. Ich habe mit Katrin ein Interview geführt, um die Visionen der jungen und voller Tatendrang strotzenden Frauen heraus zu kitzeln.
Wie viele Senioren backen für das Unternehmen „Kuchentratsch“?
„Im Moment backen 20 Omas und ein Opa für uns. Dabei ist unsere älteste Oma bereits 84 Jahre alt.“
Wer gehört noch zu eurem Team?
„Wir beschäftigen eine BWL-Studentin, die bei uns für drei Monate ein Praktikum macht. Sie ist in die Bereiche Marketing und Buchhaltung involviert und absolviert einen Backtag pro Woche, um das Handwerk kennen zu lernen.“
Was verdient eine studentische Praktikantin bei euch?
„Praktika werden bei Kuchentratsch mit 450 € pro Monat vergütet. Unsere Senioren erhalten natürlich den Mindestlohn von 8,50€.“
Was sind eure Firmenziele?
„Ein gesellschaftliches Problem wirtschaftlich zu lösen. Dabei sehen wir als Problem die gesellschaftliche Überalterung, die Altersarmut und die Vereinsamung vieler Senioren an.“
Welche Kunden beliefert ihr?
„Als Stammkunden konnten wir im Münchener Raum die BMW-Stiftung, die UBS-Bank und die Deutsche Bank, aber auch viele Cafés gewinnen. Privatkunden kommen meist in unsere Backstube, um sich die Kuchen direkt abzuholen. Ab sofort sind Bestellungen auch über unseren Online-Shop möglich.“
Verwendet ihr besondere Backzutaten?
„Uns ist es wichtig, dass die Zutaten aus regionaler Landwirtschaft stammen. So kaufen wir Bio-Mehl von der Meyermühle in Landshut, unsere Bio-Eier stammen auch aus dieser Region. Unsere Milchprodukte beziehen wir vom Berchtesgadener Land. Außerdem versuchen wir unser Obst aus deutschen Anbaugebieten zu beziehen, was leider nicht immer möglich ist.“
Wie viele Kuchen produziert ihr täglich und welcher ist besonders beliebt?
„Im Moment ist der Karottenkuchen der absolute Renner. Er ist einer von 20 bis 23 produzierten Kuchen pro Tag.“
Was sind eure Pläne für die Zukunft?
„Wir werden eine Werksstudentin einstellen, die sich um alternative Packungskonzepte kümmern wird, zum Beispiel aus Holz. Wir denken ebenso darüber nach, dass wir Kunden bitten, ihre eigenen Verpackungen, wie Tupper, mitzubringen. Wir wollen unnötigen Müll vermeiden.“
Schreibt das Unternehmen „Kuchentratsch“ bereits schwarze Zahlen?
„Katharina und ich räumen bis dato noch unser Sparkonto leer, aber das ist es wert. Wenn man sieht, was für eine Freude die Omas und Opas bei ihrer Arbeit in der Backstube haben, geht uns das Herz auf. Wir haben eine Mission, und dafür sind wir bereit, viel zu investieren.“
Kuchentratsch
Katharina Mayer und Katrin Blaschke
Landsberger Str. 59
80339 München
Tel: 0173 2593416
http://www.kuchentratsch.de
Fotos: Katrin Blaschke